Verbum E-ISSN 2538-8746
2018, vol. 9, DOI: http://dx.doi.org/10.15388/Verb.2018.5

Begegnungsschule und Fremdsprache: Der pädagogisch-institutionelle Diskurs in Bezug auf die mehrsprachige und plurikulturelle Kompetenzförderung in einer deutschen Auslandsschule

Robson Carapeto-Conceição

Bundesuniversität Fluminense / Europa-Universität Viadrina, Rua Conselheiro Paranaguá, 80/103, 20551-150 Rio de Janeiro RJ Brasil, +55 11 99522 4109
rcarapeto@id.uff.br
Forschungsinteressen: Mehrsprachigkeit, Sprachpädagogik

Zusammenfassung. Im Kapitel 8 des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GER) wird die sogenannte mehrsprachige und plurikulturelle Kompetenz als weiteres Ziel des Sprachenlernens erläutert. Dementsprechend wird die allgemeine Sprachkompetenz „nicht als Schichtung oder als ein Nebeneinander von getrennten Kompetenzen verstanden, sondern vielmehr als eine komplexe oder sogar gemischte Kompetenz“ (Trim et al. 2001, p. 163) betrachtet. Insgesamt werden 140 Auslandsschulen mit Ressourcen des deutschen Auswärtigen Amtes in 71 Ländern gefördert. Von 80.000 Schülern besitzen ca. 73% weder die deutsche Staatsbürgerschaft noch sprechen sie Deutsch als Erstsprache. Meistens handelt es sich um private Bildungsanstalten, welche als bikulturelle Begegnungsschulen bezeichnet und von Kindern und Jugendlichen aus ökonomisch privilegierten Elternhäusern besucht werden. In diesem Zusammenhang stellt sich die Kernfrage: Inwiefern entspricht der dabei erwartete interkulturelle Dialog den Austauschdynamiken und Identitätsprozessen, wie sie im Schulalltag festgestellt werden können, und auch den Prämissen des GER in Bezug auf interkulturelle und mehrsprachige Kompetenz? An welcher sprachlichen Ideologie orientiert sich der Diskurs und die pädagogische Praxis in solchen binationalen Schuleinrichtungen? Die Analyse des institutionellen Diskurses der untersuchten Einrichtung zeigt ihren ideologischen Unterbau und die soziopolitische Zielgruppe auf, die sie in den Blick nimmt, sowie ihre Einstellung zu Interkulturalität und Mehrsprachigkeit. Die überwiegende Spracheinstellung verweist noch auf den „Nativitätsmythos“ (Rajagopalan 1997, p. 226 f.), indem die Sprachkompetenz des zweisprachigen Individuums hinsichtlich eines anachronistischen, imaginären ‚Muttersprachlers‘ bewertet wird

Schlüsselwörter: Deutsche Auslandsschulen, Mehrsprachigkeit, Deutsch als Fremdsprache, Transkulturalität, Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen, Sprachidentität.

Encounter Schools and Foreign Language: The Pedagogical-Institutional Discourse about Multilingual and Pluricultural Competence Promotion in a German School Abroad

Summary. Among the 80,000 students attending the 140 German schools abroad, about 73% are not German or ‘native’ German speakers. These are usually private schools, called “bicultural schools of encounter” frequented by children and young people from the economically privileged classes. The purpose of this study is to analyze the permeability of the space of this encounter and between the internal structures of the same. We seek to elucidate the extent to which the model of intercultural dialogue envisaged by this political project corresponds to the dynamics of exchanges and identity re-elaborations that occur organically and to the assumptions of the Common European Framework of Reference for Languages (CEFR) in relation to the development of intercultural and plurilingual competences. Analyzing the presentation of the institutional profile and pedagogical plan in the homepage of one of these schools, we hope to counter the vestiges of this proposal of literacy in the school environment to the social and linguistic representations shared by these institutions and their target audience. In this context, the key question arises: To what extent does the expected intercultural dialogue correspond to the exchange dynamics and identity processes that can be identified in everyday school life, and to the premises of the CEFR in relation to intercultural and multilingual competence? At which linguistic ideology is the discourse and pedagogical practice in such binational institutions oriented?

The analysis of the institutional discourse of a bilingual German school located in Brazil aims to reveal its ideological substructure and the socio-political target group that it looks at, as well as its attitude to interculturality and multilingualism. According to the results, the predominant language attitude still refers to the "myth of nativity" (Rajagopalan 1997: 226 f.), in which the linguistic competence of the bilingual individual is evaluated in terms of an anachronistic, imaginary 'native speaker'.

The theoretical basis for this study is presented in the first two chapters, followed by a brief discussion of the methodology applied on this research. Afterwards, chapter 5 deals in depth with the institutional discourse on the examined school concept. Chapter 6 deals with language attitudes and transcultural processes in reports on multidisciplinary activities and the following concluding chapter tries to reconstruct the challenges of a partly organic, partly planned development towards a multilingual (school) identity.

Keywords: German schools abroad, plurilingualism, German as a foreign language, transculturality, Common European Framework of Reference for Languages, linguistic identity.

Copyright © 2019 Robson Carapeto-Conceição. Published by Vilnius University Press
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution Licence, which permits unrestricted use, distribution, and reproduction in any medium, provided the original author and source are credited.
Artikel eingereicht am 12. August 2018, angenommen zur Veröffentlichung am 10. November 2018

Robson Carapeto-Conceição promoviert in Sprachwissenschaften an der Bundesuniversität Fluminense (Niterói, Brasilien) und in Kulturwissenschaften an der Europa-Universität Viadrina (Frankfurt an der Oder, Deutschland) und ist seit 2004 als Lehrer für Deutsch als Fremdsprache im Schulbereich tätig.

Einleitung

In deutschen Auslandsschulen wird jenes Schulfach oft als „Deutsch als Fremdsprache“ bezeichnet, in dem nichtmuttersprachliche Lernende von Beginn der Grundschule an bis zum Schulabschluss (parallel) alphabetisiert werden, die deutsche Sprache lernen und sich mit den Merkmalen deutschsprachiger Kulturen auseinandersetzen. Paradoxerweise setzt aber die Beherrschung einer „Fremdsprache“ im engeren Sinne voraus, dass das Bestimmungswort „fremd“ hier nicht mehr zutrifft. Insofern hält der Verfasser des vorliegenden Beitrags Lehrpläne, in deren Zentrum das Trugbild einer homogenen Sprachgemeinschaft und ein ‚idealer‘, monolingualer Muttersprachler stehen, für nicht mehr zeitgemäß.

Im transkulturellen Ansatz geht es darum, sprachlich-kulturelle Grenzen kommunikativ durchlässig zu machen, indem sprachliche Identitäten ständig neue Gestalten gewinnen. Dies lässt sich als Praxis der Alterität sowie als hybride Kompetenz und Zweck des Sprachenlernens betrachten. Im Einklang mit den Prämissen einer mehrsprachigen, transkulturellen Sprachpädagogik muss der Lernende mit seiner hybriden Identität und anderen bilingualen Mitmenschen in den Mittelpunkt des Lernprozesses gestellt werden. Dafür erfordert die moderne Welt die Anwendung von Lehransätzen, bei denen Lernende sich als legitime Sprachbenutzende wahrnehmen dürfen. Laut früherer Forschungsergebnisse (vgl. Carapeto-Conceição 2011) stärkt das mehrsprachige Selbstbewusstsein des Lernenden die Autonomie zum Ausdruck seiner eigenen Identität in der gelernten Sprache und veranlasst das horizontale gleichberechtigte Verhältnis zu den anderen Mitgliedern einer multikulturellen Sprachgemeinschaft.

In dieser Hinsicht wird in der vorliegenden Studie der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen (GER) (Trim et al. 2001) als Grundlage für die Vermittlung von mehrsprachiger und plurikultureller Kompetenz genommen. Dem werden andere Konzepte und Ansichten für das Lehren und Lernen von Sprachen im 21. Jahrhundert gegenübergestellt. Im Anschluss wird der pädagogisch-institutionelle Diskurs einer bilingualen deutschen Begegnungsschule analysiert, um zu entschlüsseln, inwiefern der im GER erwartete interkulturelle Dialog in den schulalltäglichen Austauschdynamiken und Identitätsprozessen nachvollziehbar ist. Ebenfalls beschäftigt sich die Analyse mit der Berücksichtigung der mehrsprachigen Kompetenz bzw. inwiefern sich der GER mit der sprachlichen Ideologie, offenbart durch den öffentlichen Diskurs und die pädagogische Praxis in solchen binationalen Schuleinrichtungen, vereinbaren lässt.

Die theoretische Grundlage für diese Untersuchung wird in den nächsten zwei Kapiteln dargestellt, gefolgt von einer zusammenfassenden Diskussion der angewandten Forschungsmethodik. Anschließend setzt sich Kapitel 5 vertieft mit dem institutionellen Diskurs über das untersuchte Schulkonzept auseinander. Mit den Spracheinstellungen und transkulturellen Prozessen in Berichten über fachübergreifende Aktivitäten befasst sich Kapitel 6 und das darauffolgende abschließende Kapitel versucht anhand der Schlussfolgerungen die Herausforderungen einer teils organischen, teils planmäßigen Entwicklung in Richtung einer mehrsprachigen (Schul-)Identität nachzuvollziehen.

1. Mehrsprachigkeit und plurikulturelle Kompetenz gemäß des GER

Den GER gibt es seit 2001 und er wurde vom Europarat als eine umfangreiche Empfehlung konzipiert, um, unter anderem (Trim et al. 2001, p. 14-15):

Unter Förderung der Mehrsprachigkeit wird das Lernen einer größeren Zahl an europäischen Sprachen verstanden (ebd., p. 14). Trotzdem spielt der GER auch eine große Rolle als Richtlinie zur Gliederung von Sprachkursen und dient als Maßstab in vielen Ländern außerhalb Europas, vor allem dort, wo das verwendete Lehrmaterial von europäischen Herausgebern stammt und das Sprachenlernen stark durch den Austausch mit europäischen Institutionen und Chancen zur Auswanderung motiviert ist. Es wäre deshalb nicht verkehrt zu hinterfragen, inwiefern die Annahme des GER als maßgebliche Richtlinie für Lehrpläne des Faches Deutsch als Fremdsprache in lateinamerikanischen - staatlichen und privaten - Schulen besondere Bedürfnisse und kulturelle Merkmale von Ländern wie Brasilien vernachlässigt. Nichtsdestotrotz gilt er als umfangreiches und ziemlich einfach übertragbares Konzept zum handlungsorientierten Unterrichten und Auswerten kommunikativer Sprachkompetenzen (ebd., S. 21).

In Kapitel 8 befasst sich der GER gezielt mit dem Begriff „mehrsprachige und plurikulturelle Kompetenz“ zur selbstbewussten Beteiligung an „interkultureller Interaktion“ (ebd., p. 163). Dabei wird der Lernende als gesellschaftlich Handelnder verstanden, der unterschiedliche Kompetenzen in mehreren Sprachen erwirbt und Erfahrungen mit mehreren Kulturen sammelt. Es handelt sich aber nicht um die beliebige Anhäufung von interkulturellen Kontakten und Kenntnissen in verschiedenen Sprachen und auch nicht um Überlappung oder Zusammenstellung getrennter Kompetenzeinheiten. So sieht das auch Baker (2001, p. 5), für den die Beherrschung zweier Sprachen nicht damit zu vergleichen ist, auf zwei Rädern zu fahren oder mit zwei Augen zu sehen. Trotzdem werden bilinguale Schulcurricula oft so konzipiert, dass verschiedene Lernräume und -zeiten für jede Sprache bestimmt werden und Lehrkräfte auch nur in einer Sprache unterrichten sollen. Ein solches Programm resultiert aus einer Interpretation der Zwei- bzw. Mehrsprachigkeit als Akkumulation von mehreren, getrennten monolingualen Praktiken. García (2009, p. 8) übernimmt Bakers Räder-Metapher und stellt das Zweirad dieses monoglossischen Ansatzes einem Mond-Buggy gegenüber. Dieser kann seine Beine ausstrecken und zusammenziehen, um sich an die Anhebungen und Krater des Bodens anzupassen, was ein heteroglossisches Modell repräsentieren soll, bei dem alle Sprachfähigkeiten und das gesamte sprachliche Repertoire eines Individuums an einer einheitlich integrierten Sprachkompetenz beteiligt sind.

Der GER betont nachdrücklich das Ziel einer „komplexe[n] oder sogar gemischte[n] Kompetenz, (...) die das ganze Spektrum der Sprachen umfasst, die einem Menschen zur Verfügung stehen“ (Trim et al. 2001, p. 163). Als Folge dieses Grundgedankens entstehen Voraussetzungen, die die bisher vorherrschende sprachpädagogische Tradition herausfordern, insbesondere die Einstellung, dass L1 und L2 getrennte, in sich abgeschlossene Elemente sind und sich auf Augenhöhe gegenüberstehen. Mehrsprachigkeit soll dementsprechend als Regelfall angesehen werden und Zweisprachigkeit hingegen als Sonderfall der Mehrsprachigkeit (ebd.). Dieser Gedanke lässt sich besser verstehen, wenn wir auf die einleitenden Worte des GER zurückgreifen, in denen das Grundprinzip der Mehrsprachigkeit als Gegensatz der Vielsprachigkeit dargestellt wird:

‚Mehrsprachigkeit‘ unterscheidet sich von ‚Vielsprachigkeit‘, also der Kenntnis einer Anzahl von Sprachen, oder der Koexistenz verschiedener Sprachen in einer bestimmten Gesellschaft. Vielsprachigkeit kann man erreichen, indem man einfach das Sprachenangebot in einer Schule oder in einem Bildungssystem vielfältig gestaltet, oder indem man Schüler dazu anhält, mehr als eine Sprache zu lernen, oder indem man die dominante Stellung des Englischen in internationaler Kommunikation beschränkt. Mehrsprachigkeit jedoch betont die Tatsache, dass sich die Spracherfahrung eines Menschen in seinen kulturellen Kontexten erweitert, von der Sprache im Elternhaus über die Sprache der ganzen Gesellschaft bis zu den Sprachen anderer Völker (die er entweder in der Schule oder an der Universität lernt oder durch direkte Erfahrung erwirbt). Diese Sprachen und Kulturen werden aber nicht in strikt voneinander getrennten mentalen Bereichen gespeichert, sondern bilden vielmehr gemeinsam eine kommunikative Kompetenz, zu der alle Sprachkenntnisse und Spracherfahrungen beitragen und in der die Sprachen miteinander in Beziehung stehen und interagieren (ebd., p. 17).

Hier greift der GER auf die Ziele des kommunikativen Ansatzes zurück, um sie erneut zu betonen, während er gleichzeitig auf eine Lücke in seiner Umsetzung hindeutet: Einerseits steht beim kommunikativen Ansatz die sprachliche Handlung und die Interaktion in mündlicher und schriftlicher Form im Vordergrund (vgl. Widdowson 1978), andererseits bleibt dabei die Tatsache unbeachtet, dass Menschen – besonders Lernende einer weiteren Sprache – mehrsprachig sind, ebensowie ihre Gemeinschaften, ihre Verhältnisse, ihre Verstehensprozesse und alles, was sie in ihrer Umgebung lesen, hören und wahrnehmen (vgl. García/Kleifgen 2010, p. 42 f.). In jenem Zusammenhang wird als interkulturelle Kompetenz die Auseinandersetzung mit kulturellen Merkmalen der Zielsprache und deren Sprachgemeinschaft vorausgesetzt. Meistens wird aber die Gesamtheit ihrer Mitglieder durch eine homogene prestigetragende Sprachvarietät vertreten, die in der Realität nur über wenige Gemeinsamkeiten mit der Vielfältigkeit des Alltagslebens und mit der sprachlichen Identität von Sprechenden regionaler Sprachen oder „Dialekte[n]“ verfügen (Kramsch 2003, p. 254). Dies wäre der Fall, wenn Gruppen von Migranten oder sprachlichen Minderheiten und deren muttersprachliche Diaspora in Lehrplänen für Fremdsprachen und Landeskunde Eingang fänden. Aus diesem Grund fügt der GER die Anforderung hinzu, dass die plurikulturellen Dimensionen der Mehrsprachigkeit zu betonen sind, „ohne dabei notwendigerweise zu unterstellen, dass die Entwicklung der Fähigkeit, mit anderen Kulturen in Verbindung zu treten, und die Entwicklung der sprachlichen Kommunikationsfähigkeit miteinander verbunden sein müssen“ (Trim et al. 2001, p. 163). Immerhin wird anhand einer Sprachprüfung der deutschen Kultusministerkonferenz die Vermittlung „eines aktuellen Deutschlandbildes, deutscher Kultur, Kunst und Literatur“ evaluiert (Meyer-Engling 2013, p. 27).

Die KMK-Prüfung befasst sich andererseits auch mit „de[m] systematische[n] Aufbau der Sprachkompetenz, [der] Entwicklung von Diskursstrategien und [der] Vermittlung autonomen Lernens“ (ebd.), was mit den Schwerpunkten sowohl des GER als auch des kommunikativen Lehransatzes in Einklang steht. SchülerInnen, die in Partnerschulen im Ausland Deutsch lernen, werden ihrer Leistung nach mit dem Deutschen Sprachdiplom (DSD) auf entsprechendem GER-Niveau ausgezeichnet. Dies gilt als offizieller Nachweis ihrer Sprachkenntnisse und wirkt, zusammen mit der Finanzierung deutscher Auslandsschulen und der Förderung von internationalen Partnerschaften im Bildungsbereich, als Instrument der deutschen auswärtigen Politik (Winter 2009, p. 178). Für die auswärtige Kulturpolitik Deutschlands spielt die Förderung der deutschen Sprache im Ausland eine zentrale Rolle als Zugang zur deutschen Kultur, aber auch als Mittel, um „Sympathie für und Bindungen an Deutschland“ zu schaffen und „die wirtschaftliche Position Deutschlands in der Welt zu sichern“ (Auswärtiges Amt 2000, p. 11).

Die vorliegende Untersuchung befasst sich mit dem pädagogisch-institutionellen Diskurs einer deutschen Auslandsschule in Brasilien, der die Aufgabe hat, das öffentliche Publikum mit einem Schulprogramm vertraut zu machen, welches sich von dem in seiner Umgebung vorherrschenden Schulsystem stark unterscheidet. Dieses Programm und damit auch seine Präsentation basieren in erster Linie auf den Zielen der deutschen auswärtigen Kulturpolitik.

(1) vendre vin en le dicte ville sans afforer, et par ce le vent à tel feur que il li plaist et plus hault que nul aultre de la ville (Hist. dr. munic. E., t.2, 1368, 121)

(2) Einsi Amour Croist en mon cuer au fuer de ma dolour (MACH., J. R. Beh., c.1340, 86)

(3) Lonc temps dura celle prison, mais au feur que leur aage croisçoit embrasoit en eulx l’amoureuse estincelle, qui pour leur longue absence point n’estaignoit. (CHR. PIZ., Ep. Othea L., c.1400-1401, 207)

2. Weitere theoretische Grundlagen

Im Laufe der ersten Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts nahm in Brasilien die Nachfrage nach bilingualen Schulen laut einer Studie von Liberali und Megale (2016, p. 100) zu. Es kam zu einer allgemeinen Aufwertung von Fremdsprachenkenntnissen auf dem inneren Arbeitsmarkt und das Angebot an Sprachkursen, die bessere Bedingungen für den Erwerb von Englischkenntnissen als die regulären Schulen anboten, wuchs (Marcelino 2009, p. 10). Während die brasilianische Mittelschicht größer und zahlungskräftiger wurde und bilinguale Schulen an Prestige gewannen, stieg auch das Angebot von zweisprachigen Curricula in Eliteschulen. Trotzdem wurden in dieser Zeit bis auf sehr wenige Aufbaustudiengänge keine Ausbildungsmöglichkeiten geschaffen, die sich mit bilingualer Erziehung und Zweisprachigkeit befassen und pädagogisches Personal für diese neuen Bedürfnisse vorbereiten (Megale 2014, p. 15). Coutinho Storto (2015, p. 9) fügt hinzu, dass es auch bisher keine Rechtsvorschriften für bilinguale Schulprogramme in Brasilien gibt und viele dieser Einrichtungen importierte Konzepte adoptieren.

In Bezug auf ihr kulturelles Ziel folgt die Mehrheit dieser Institutionen keinen klaren Richtlinien, um in einer multikulturellen Umgebung zu agieren. In der Regel richten sich diese aktuellen Lehrpläne nach einer monoglossischen und additiven Orientierung, nach der die Sprachen durch Lehrpersonen getrennt sind, die jeweiligen Unterrichtsstunden oft in verschiedenen Räumen stattfinden und der simultane Gebrauch beider Sprachen bzw. die Sprachmittlung untersagt ist (Liberali/Megale 2016, p. 101). Nach der Ansicht von Liberali und Megale findet der L2-Erwerb unter diesen Bedingungen außerhalb der ethnolinguistischen Identität der Lernenden statt. Obwohl einige landeskundliche Merkmale im Lehrplan punktuell thematisiert werden, kann man den Autorinnen nach nicht behaupten, dass diese Einrichtungen bikulturelle Jugendliche ausbilden (ebd.).

Dies ist allerdings bei einigen Privatschulen älteren Gründungsdatums der Fall, welche in einem anderen Kontext gegründet wurden und ursprünglich einen starken Bezug zur Kultur der Herkunftsländer ehemaliger Migranten pflegen. Anders als in den meisten Fällen ist hier die zweite Sprache kein Englisch, aber die jeweilige Sprache dieser Länder, deren Lehrangebot durch Maßnahmen im Rahmen deren Außenpolitik unterstützt wird. Der vorliegende Untersuchungsbericht handelt von einer dieser bikulturellen Einrichtungen.

Wenn man von Kultur spricht, lohnt es sich immer klarzustellen, wie man den Begriff definiert. Bei einer Diskussion über Sprachkontakt und Kulturaustausch nehmen die Zweifel zu, insofern Wörter wie „Interkulturalität“ und „plurikulturelle Kompetenz“ genannt werden. Insbesondere wird in dieser Untersuchung auf das Konzept von Transkulturalität eingegangen (Welsch 2010), deren Erläuterung alle anderen Begriffe umfasst und ihnen einen ziemlich präzisen Sinn in diesem Bedeutungsnetzwerk verleiht. Welsch unterscheidet zwei Kulturdimensionen: (a) eine substantielle Dimension (oder Bedeutung), „wo ‚Kultur‘ als Sammelbegriff für diejenigen Praktiken steht, durch welche die Menschen ein menschentypisches Leben herstellen (...) [,] Alltagsroutinen, Kompetenzen, Überzeugungen, Umgangsformen, Sozialregulationen, Weltbilder und dergleichen“ (ebd., p. 1); und (b) eine extensionale Dimension (oder Bedeutung), d.h. eine geographische oder nationale oder ethnische Extension dieser Praktiken im Sinn. In diesem Zusammenhang bezeichnet ‚Kultur‘ „die Ausdehnung derjenigen Gruppe (bzw. einer Gesellschaft oder einer Zivilisation), für welche die betreffenden kulturellen Inhalte bzw. Praktiken charakteristisch sind“ (ebd.). Transkulturalität ruft die extensionale Dimension hervor und vertritt ein Durchdringungs- und Verflechtungsmodell. Dabei ficht sie das traditionelle Modell an, welches Kulturen eingrenzt, einander gegenüberstellt und auf dem Herderschen, kugelartigen Modell von Kultur basiert (ebd., p. 2). Die Kultur wolle demnach das Leben eines Volkes „im ganzen wie im einzelnen“ prägen, jede Handlung und jedes Individuum seien unverwechselbare Bestandteile dieser Kultur. Das fremde Element wird gemäß diesem Modell also vernachlässigt und jede Gemeinschaftskultur von den anderen abgegrenzt. Folglich werden das Verflechtungs- und Durchdringungsvermögen der kulturellen Matrizen nicht in Betracht gezogen. Ihre Begegnung soll den Austausch von Ansichten und die Kooperation hinsichtlich gemeinsamer Ziele ermöglichen, die sich im Mittelpunkt oder im Raum zwischen den interagierenden Elementen befinden – also, ein interkulturelles Verhältnis zueinander pflegen. Hingegen wird nicht miteinbezogen, dass sie sich gegenseitig durch die Interaktion durchdringen und innerlich umwandeln, wie beim transkulturellen Ansatz (ebd.).

Bei der Konzeption und Zielsetzung eines bilingualen Lehransatzes ist allerdings zu beachten, dass er nicht nur zur Förderung des Bilingualismus beiträgt, sondern vor allem die Bilingualität des Lernenden verändert. Diese duale Perspektive (Savedra 2009, p. 127 f.) lässt sich besser verstehen, wenn man der Begriff „Bilingualismus“ auf die Situation beschränkt, in der zwei Sprachen als Kommunikationsmittel in einem sozialen Raum bzw. situationsbezogen koexistieren. Da „Bilingualität“ eine dynamische Eigenschaft des Individuums und einen lebenslangen flüssigen Prozess bezeichnet, kann man auch von Bilingualitätsstadien und multiperspektivischen Dimensionen sprechen. Die sprachlichen, kommunikativen und interkulturellen Kompetenzen in den jeweiligen Sprachen ändern sich im Laufe der verschiedenen Lebensphasen eines Individuums. Sie werden, unter Umständen, von Erwerbsalter und -bedingungen und der variablen Intensität des Sprachgebrauchs in Abhängigkeit von den äußeren Lebensumständen beeinflusst. Faktoren wie Familie, Sozialgruppe, Migration, Ausbildung und Beruf haben ebenfalls einen großen Einfluss auf die Pflege und Aufgabe einzelner Sprachen und können die Ursache dafür sein, dass sie in unterschiedlichen Lebens- bzw. Interaktionsbereichen Verwendung finden. In diesem Zusammenhang existiert damit kein ausbalancierter Bilingualismus (García 2009, p. 44), weshalb eine entsprechend symmetrische Bilingualität ebenfalls nicht zu erreichen ist. In der Darstellung ihres Konzeptes arbeitet Savedra zwar mit Sprachen als abgetrennten Instanzen und dem Verhältnis zwischen zwei Elementen, nämlich Erst- und Zweitsprache bzw. Mutter- und Fremdsprache, was das Verständnis ihrer Perspektive erleichtert. Man kann und sollte nichtsdestotrotz diese Denkweise auf eine Einstellung übergreifender Mehrsprachigkeit übertragen.

Obwohl diese Ansichten den Vorschlag des GER zur Förderung von mehrsprachiger und plurikultureller Kompetenz eher unterstützen, ist nicht zu unterschätzen, dass seine Skala der Sprachniveaus sich nach einer einzigen Richtung linear orientiert, nämlich vom Nullanfänger (A1) hin zu einem Sprechvermögen, das mit dem eines idealisierten Standardsprache-Muttersprachlers vergleichbar sei (C2) (García 2009, p. 48). In dieser Hinsicht greift die Empfehlung des Europarats für den Spracherwerb im 21. Jahrhundert teilweise auf Bloomfields Auffassung (1933) zurück, wonach Bilinguismus die Beherrschung von mehr als einer Sprache auf annähernd muttersprachlichem Niveau bedeutet. García unterstützt ein dynamisches und multidimensionales Modell, in dem die Sprachmittlung und die hybride diskursive Praxis (translanguaging) eine zentrale Rolle spielen. Demnach erweitert der Erwerb einer weiteren Sprache die Auswahlpalette der Sprechenden und die ihnen zum Ausdruck eines Gedankens zur Verfügung stehenden Sprachmittel im Kontrast zu den Nutzenden der Zielsprache, die eine einzige Sprache in allen kommunikativen Anlässen verwenden. Die kognitiven Prozesse sind bei bilingualen also anders als bei monolingualen Individuen (Valdés 2005, p. 415), was darauf hinweist, dass das muttersprachliche Vorbild nicht die optimale Orientierung zum Lernen einer Fremd- bzw. Zweitsprache sein dürfte (ebd.). Außerdem ist die flexible Mehrsprachigkeit, sowohl im Diskurs als auch im Gespräch, die kommunikative Norm in zweisprachigen Gemeinschaften und nicht mit einem vorgeschriebenen monolingualen Sprachverhalten vergleichbar (ebd., p. 51).

3. Untersuchungsmethodik

Die vorliegende Studie besteht im Wesentlichen in der kritischen Diskursanalyse der Darstellung des Schulkonzeptes einer bilingualen deutschen Schule auf Basis ihrer offiziellen Webpräsenz. Es werden Texte unter die Lupe genommen, die von der Schuleinrichtung für die Öffentlichkeit verfasst wurden und im Internet ohne Weiteres beim Anklicken der Rubriken „Begegnungsschule“, „Pädagogisches Konzept“ und „DaF und DFU Unterricht“ auf der Schulhomepage zugänglich sind. Berichte aus dem Nachrichtenfeed ergänzen das Textkorpus dieser Studie. Die Kernuntersuchung besteht in der Suche nach sprachideologischen Leitbildern durch die Identifizierung von Textstellen, in denen das bikulturelle Begegnungskonzept, die interkulturellen Ziele des Schulprogramms, die curriculare Gliederung und die Beziehung zu brasilianischen und deutschen Einflüssen angedeutet werden. Diese werden mit der GER-Vorlage (bes. Kapitel 8) verglichen und Feststellungen aus dem beobachteten Schulalltag gegenübergestellt.

Laut Martín Rojo (2005, p. 221) wird die Diskurszirkulation immer dann kontrolliert, wenn einige soziale Gruppen die Möglichkeit haben, bestimmte Diskurse zu erlauben oder zu begrenzen. In gesellschaftlich relevanten Kontexten werden Diskurse reproduziert, die dominant, autorisiert oder legitimiert sind. Infolgedessen generieren diese Diskurse andere enunziative Handlungen, die sie wieder aufgreifen und verwandeln, so wie der Diskurs einer Lehrperson jenen beeinflusst, den untersuchte Lernende einer Forschungsperson präsentieren. Das symbolische Kapital des Diskurses liegt also nicht nur in seinem Handlungsvermögen, sondern auch in der Fähigkeit, soziale Einstellungen und Attitüden zu erzeugen (ebd., p. 251). Diskurse und Einstellungen durchdringen sich gegenseitig, sie werden ausgestrahlt, übertragen und neu angeeignet. Die Dynamik des Diskurses muss auch berücksichtigt werden, weil sie der sozialen Situation und der Positionierung des Sprechenden vor der Realität unterschiedliche Konturen und Beschränkungen je nach den Eigenschaften des Gesprächspartners, dem Kontext der Äußerung und anderen Faktoren verleiht. Daher werden Ansichten, die sich von dominanten Diskursen distanzieren, in Kontexten größerer Überwachung und in Diskursen größerer Ausbreitung tendenziell marginalisiert und gedämpft.

Aus diesem Grund sollte man nicht auf die Untersuchung dessen verzichten, was über die Grenzen des Textes hinausgeht. Die sozialen Prozesse, die menschlichen Beziehungen, die Überzeugungen, Werte und Wünsche derjenigen, die interagieren, werden bestenfalls auch beschrieben und analysiert (Chouliaraki/Fairclough 1999, p. 60-61), so dass das Textmaterial in Bezug auf soziale und diskursive Praktiken betrachtet wird, von denen es gleichzeitig Produkt und Inhalt ist (Fairclough 1992, p. 16-17). Daher wird in dieser Arbeit der Textkorpus nicht als verlässliche Realitätsbeschreibung verstanden, sondern als diskursive Formationen im Sinne der Konstruktion einer bestimmten Perspektive.

In diesem Sinne wurden intensive teilnehmende Beobachtungen im Schulalltag unternommen. Dies bedurfte spontaner Gespräche mit Mitgliedern des Kollegiums und Fotoaufnahmen der Schulanlage. Die dabei entstandenen Feldnotizen unterstützen die Hauptanalyse mit Daten aus dem Schulalltag und Hinweisen auf soziale und sprachliche Einstellungen der Schulgemeinschaft.

Die ausgesuchte Schule, in der sich der Verfasser des vorliegenden Beitrags im Laufe des Jahres 2016 aufhielt und aus der das Textmaterial für diese Studie stammt, wird namentlich aus ethischen Gründen nicht bekannt gegeben. Es handelt sich um eine private, sich selbst als „bikulturell“ bezeichnende Begegnungseinrichtung, die sich in einer brasilianischen Millionenstadt befindet.

4. Interkulturalität im institutionellen Diskurs einer Begegnungsschule

Wie ein „Sprachbad“ beschreibt die untersuchte Schuleinrichtung im öffentlichen Internetdiskurs den frühen teilimmersiven Kontakt portugiesischsprachiger Kinder mit der deutschen Sprache in ihren Vorschulklassen. Die Metapher des Bades ruft zwar ein Gefühl von Frische und Genuss hervor, behandelt aber das Kind als ein fremdes, unerfahrenes, kraft des sprachlichen Wassers zu läuterndes Wesen. Es hält den Atem an und taucht in eine Welt ein, die ihm nicht vertraut ist, aber in die es sich einleben soll und in der es Fähigkeiten entwickeln kann, die seiner Natur fremd sind. Das Kind wird zu einer Amphibie. Im Portugiesischen kann man unter „banho de língua alemã“ außerdem verstehen, dass es sich dabei wäscht bzw. unter einer Dusche säubert.

Gemäß der Definition der Zentralstelle für Auslandsschulwesen (ZfA) bezeichnet DaF – Deutsch als Fremdsprache – „den Status der Sprache Deutsch für alle Sprecher oder Lerner im Ausland, die eine andere Muttersprache als Deutsch sprechen“ (Bundesverwaltungsamt 2003, p. 5). Dabei wird die Beherrschung der Sprache durch ausländische Personen auf einen politisch zugeordneten ‚Status‘ begrenzt: Sprechende, deren ‚Muttersprache‘ eine andere ist und deren Sprachkenntnisse im Ausland entwickelt werden, gelten als sprachfremd, unabhängig davon, welches Sprachniveau sie besitzen, wie lange sie die Sprache schon sprechen und wie stark die Sprache ihr gegenwärtiges Leben und ihre Lebensgeschichte prägt. Sprachen besitzen aber keine Grenzen, wie dies etwa bei Nationalstaaten der Fall ist.

Im gleichen Eintrag ihrer Auslandsschul-Fibel unterstreicht die ZfA den soziopolitischen und ebenso ethnischen Charakter ihres DaF-Konzeptes dadurch, dass DaF-Sprechende denjenigen gegenübergestellt werden, die „einen anderen Status“ (DaZ, für Deutsch als Zweitsprache) innehaben, „weil sie in Deutschland leben oder weil ein Elternteil deutschsprachig ist“. Savedra (2009, p. 128) stellt sich dieser Sichtweise entgegen, indem sie Sprachkompetenz als eine sozial-dynamische und persönlich-bedingte Kategorie betrachtet, die verschiedene Umrisse im Laufe der Lebensjahre eines Individuums gewinnt, insofern dieses sich zwischen Sprachräumen bewegt und neuen Gemeinschaften parallel oder konsekutiv beitritt. Dieser Ansatz würde der soziolinguistischen Vielfalt, der Mehrsprachigkeit und den hybriden, sich stets erneuernden Schüleridentitäten einer Begegnungsschule eher gerecht werden als die oben erwähnte ‚bikulturelle‘ Perspektive.

Wenn die 28 “deutschen Begegnungsschulen” Südamerikas sich in ihren Internetpräsenzen mehrheitlich als solche definieren, präsentieren sie im Vordergrund ihren bikulturellen Charakter. Der unvertrauten Leserschaft wird dies an erster Stelle offenbart, noch bevor sie sich als bilinguale Schulen erklären. In der Vorstellung auf der Homepage der hier untersuchten brasilianischen Schule ist die Relevanz der zwei Begrifflichkeiten in deren Schulkonzept offensichtlich: Die Begegnung überwiegt die Kulturen, die Kulturen überwiegen die Sprachen. Anders ausgedrückt: Jede der Begrifflichkeiten umfasst, der Reihe nach, die nächste. Diese Sichtweise stimmt mit den Annahmen von Carapeto-Conceição (2011, p. 49 f.) und Kramsch (2009, p. 238 f.) überein, woraus zu folgern ist, dass der Begegnungsort sich als eine Schnittfläche der beteiligten Kulturen herausstellt und durch das Zusammenbringen von unterschiedlichen und gemeinsam geteilten Elementen entsteht. Somit wird der Ort durch die Begegnung begünstigt und nicht umgekehrt. Das greift auf die eingangs zitierte extensionale Dimension von Kultur (Welsch 2010, p. 1) zurück, sowie auf die Sprache als Vorrat von Signifikanten, die im Rahmen jeder Interaktion und jeder Begegnung neue und eigene kooperativ gebildete Bedeutungen tragen.

Die ”Begegnung” als Konzept und Attribut entspricht der Integration und der Annäherung im Alltag dieser Schule, die in den sozialen Einstellungen über deren „Schulzweige“ überwiegen. Im Gegensatz dazu, wie diese Metapher zu deuten sei, handelt es sich um das Bild von Baumästen, die dem gleichen Stamm entspringen, sich aber gleichzeitig trennen und distanzieren, indem sie in verschiedene Richtungen wachsen. Laut der deutschsprachigen Einleitung[1] zur doppelten curricularen Struktur auf der Homepage der Schule besuchen „deutsche und brasilianische SchülerInnen” den „Deutschen Zweig“, der „überwiegend Unterricht auf Deutsch“ anbiete und dessen Programm „weitgehend die Unterrichts- und Bildungsziele Deutschlands“ berücksichtige. Im „Brasilianischen Zweig“ werden „Schüler, in der großen Mehrheit BrasilianerInnen“, „für die brasilianische ‚Conclusão‘ vorbereitet, in Übereinstimmung mit der brasilianischen Gesetzgebung“. In beiden Schulzügen wird Deutsch gelehrt und es werden, in jeweils unterschiedlichem Verhältnis, deutsch- und portugiesischsprachige Unterrichtsfächer angeboten. Obwohl Englisch in der „bikulturellen“ und „bilingualen“ Identitätsbezeichnung der Schule nicht vertreten ist, wird die Sprache als Pflichtfach ab dem 5. Jahrgang in beiden Schulzweigen angeboten[2].

Im brasilianischen Schulzweig der untersuchten Schule belegt Deutsch von Beginn der Grundschule an die meisten Wochenstunden in Verhältnis zu den anderen Schulfächern. Der formelle Unterricht in „Deutsch als Fremdsprache“ beginnt nach der Vorschule schon im 1. Jahrgang und umfasst im gesamten Grundschulbereich sechs Wochenstunden; ab dem 6. Jahrgang werden fünf Stunden „DaF“ durchgängig angeboten. Das Unterrichtsangebot in deutscher Sprache erweitert sich jedoch ab dem 5. Jahrgang um zwei neue Fächer, nämlich Gesellschaftslehre und Naturwissenschaften und umfasst bis zu einem Viertel des gesamten Stundenpensums der Sekundarstufenklassen. In den zusätzlichen Unterrichtsstunden sollen die Verwendung und der Kontakt mit der Zielsprache durch Unterrichtsprojekte transdisziplinären Potenzials motiviert werden. Im deutschen Zweig folgen alle auf dem baden-württembergischen Lehrplan basierenden Unterrichtsfächer dem Konzept DFU (Deutschsprachiger Fachunterricht), woran sich die sprachsensible Lehrarbeit orientiert (vgl. Coyle et al. 2010).

Laut dem untersuchten Online-Text werden brasilianische SchülerInnen in der Schule angenommen, auch wenn sie nicht über die von der Institution sogenannten (jedoch nicht näher definierten) „Basisanforderungen“ verfügen, „um einen zweisprachigen Abschluss zu machen“. Immerhin machen sich im deutschen Zweig die zwei Kulturen eher bemerkbar, wo sie durch Individuen vertreten sind, die unterschiedliche Bilingualitätsprofile aufweisen: Jugendliche, die aus seit längerer Zeit in Brasilien angesiedelten deutschen Familien stammen, andere kommen direkt aus dem deutschen Schulsystem und sind Portugiesischanfänger, weitere sind als Kinder von Multikulti-Elternhäusern bereits zwei- oder dreisprachig, die übrigen sind überwechselnde SchülerInnen aus dem brasilianischen Zweig. Dank dieser relativen Beweglichkeit zwischen den Schulzweigen beträgt die Anzahl von Oberstufenabsolventen jährlich 50% des gesamten Abschlussjahrgangs, obwohl nur rund 10% der Schülerschaft einen deutschen Pass besitzen. Die letzten Schuljahrgänge zeigen den Erfolg des Deutscherwerbs in den zwei Schulzweigen, deswegen bestehen ca. 80% der SchülerInnen die Deutschsprachprüfungen der deutschen Kultusministerkonferenz auf das GER-Sprachniveau C1.

Gemäß dem Text dürfen SchülerInnen mit Portugiesisch als erster Sprache in den deutschen Schulzweig wechseln, „falls sie das nötige Interesse und die Fähigkeit dazu haben“. Unbedachterweise lässt sich diese Aussage so verstehen, dass ausschließlich Deutsche als erste Sprache Deutsch sprechen, sowie jedes deutsche Kind. Infolgedessen werden diese dem teilleistungsorientierten Auswahlprozess zur Aufnahme in den deutschen Zweig nicht unterzogen. „Nicht-Deutsche“ werden gemäß bestimmter Kompetenzen zur Bewältigung der neuen Anforderungen evaluiert. An dieser Stelle spricht der Text auf Portugiesisch von „aptidão“ – ein Wort für eine Art von „Fähigkeit“, die als eine angeborene Eigenschaft verstanden werden kann.

Zweisprachigkeit als Konzept prägt das Begegnungskonzept und durchdringt den institutionellen Diskurs. Das aktiviert eine Reihe von Einstellungen rings um einen bestimmten ‚Kultur‘-Begriff: Gelehrsamkeit, Literalität, angesehene Kenntnisse, die erlangt und angehäuft werden. Die bikulturelle Begegnung, auf die sich der Vorstellungstext bezieht, befriedigt die Suche nach jener umgreifenden Kultiviertheit und bekräftigt die Heranziehung zweier kultureller Matrizen als pädagogischen Grundgedanken. Das Zahlpräfix „bi-“ vergegenständlicht sie als zwei nebeneinanderstehende, homogene und abgrenzbare Einheiten, wodurch die Aneignungschancen und das Akzeptanzpotenzial von Interferenzen vermindert werden sollen. In diesem Zusammenhang scheint dieser Begegnung das Stadium der Partnerschaft und des Bündnisses zu genügen, wohingegen sie zur gegenseitigen Verflechtung und Resignifikation nicht zwangsläufig voranschreitet.

Schließlich nennt die Begegnungsschule als ihr Hauptziel, „zu einem besseren beiderseitigen Verständnis zwischen Brasilien und Deutschland“ ihren Beitrag zu leisten, „indem die Kooperation bei der Suche nach Lösungen für die intellektuellen Weltfragen intensiviert wird“. Es spricht einerseits für ein pädagogisches Konzept, das auf Dialog basiert und über Landesgrenzen hinauswirken soll; andererseits zeigt es, dass die (inter)subjektiven Transformationen bei den sich begegnenden SchülerInnen, Kulturen und Sprachen dabei nicht im Vordergrund stehen. Diese Auffassung deutet auf ein bilinguales Schulprogramm hin, das sich nur im engeren Sinn als interkulturell erweist und keine transversalen Netze in mehrere Richtungen ausbaut.

5. Andere Hinweise auf transkulturelle Prozesse im Schulalltag

Die Analyse des institutionellen Diskurses der untersuchten Einrichtung zeigte ihre ideologischen Grundsätze und die soziopolitische Zielgruppe auf, die sie in den Blick nimmt, sowie ihre Einstellung zu Interkulturalität und Mehrsprachigkeit. Dabei antizipiert bzw. reflektiert der Diskurs die Attitüde seines Adressatenkreises. Solche Analyse umfasst durchaus nicht die konkrete Dynamik der bikulturellen Begegnung in den sozialen Praktiken der Identitätsverhandlung, vor allem im Kontext der kooperativen Konstruktion und Aneignung von Wissen. Eine Übersicht über diese Art von Austausch erfordert kontinuierliche Beobachtung der zahlreichen Kommunikationsprozesse im Alltag diverser pädagogischer und administrativer Abteilungen. Eine wirklichkeitsgetreue Abbildung der dynamischen Vielfalt dieses Universums könnte man sich in Form eines großen, lebhaften und sehr lauten Bildes naiver Kunst vorstellen. Über den Nachrichtenfeed auf der Schulhomepage lässt sich aber wenigstens die Aussagekraft von interkulturellen Begegnungen erkennen sowie deren Relevanz in den offiziellen Mitteilungsmedien. Im Zeitraum von Februar bis Mai 2016 beliefen sich die Nachrichten, die den bikulturellen Charakter der Institution widerspiegelten, auf 25% aller Feed-Einträge[3]:

  1. Die Einschulungsfeier ist wegen der traditionellen Form der Schultüten als festa do cone (Kegelfest) bekannt und basiert auf dem Ritual des allerersten Schultags eines Kindes in Deutschland.
  2. Der deutsche Vizekonsul hält einen Vortrag zu den Olympischen Spielen und dem politisch friedensstiftenden Potenzial dieser Veranstaltung.
  3. Vorschulklassen werden in deutscher Sprache nach Tierarten benannt, wie dies in deutschen Kindergärten Praxis ist und der emotionalen spielerischen Heranführung des Kindes an die Sprache dienen soll.
  4. Ein interkultureller Workshop, begünstigt durch eine Austauschreise, wird von SchülerInnen aus Oberstufenklassen über Aspekte des Alltagslebens in Deutschland für Jugendliche aus einem brasilianischen Sozialprojekt durchgeführt.
  5. OberstufenschülerInnen aus dem deutschen Zweig nehmen an einer interdisziplinär koordinierten Übersetzungswerkstatt mit Textausschnitten aus dem Werk von Stefan Zweig und Guimarães Rosa teil, angeleitet von zwei renommierten brasilianischen Profis.
  6. Die Klassenstufe 5 unternimmt einen Ausflug zum Kunstturnwettkampf, unter Beteiligung deutscher Turnerinnen. SchülerInnen und SchülerreporterInnen einer binationalen Schul-AG gleichermaßen unterhalten sich mit den Sportlerinnen über die Olympischen Spiele 2016. Die ReporterInnen stammen aus dem deutschen Schulzweig und die AG existiert im Rahmen einer Partnerschaft mit einem Münchner Gymnasium.
  7. Miniaturen von Hundertwasser-Häusern werden von den Vorschulklassen angefertigt und ausgestellt.
  8. Ein Jugendorchester aus Berlin begegnet der künftigen Streicherklasse des 3. Jahrgangs im deutschen Zweig.

    In fünf der acht Beiträge stehen interkulturelle Prozesse im Vordergrund. Das bedeutet, dass die deutschsprachige Kultur und die Kultur der Lernenden als selbstzentrierte, homogene Einheiten zur gemeinsamen Begegnung bestehen. Beide werden einander vorgestellt und konfrontiert, unterhalten sich, tauschen Sichtweisen aus und zielen auf gegenseitiges Verständnis ab. Trotzdem sind dabei Interaktionen, in denen mehr als die oberflächliche Erscheinung jeder Seite einbezogen wird, nicht vorgesehen. Jedes Selbst sieht im Anderen somit nicht viel mehr als die Umsetzung seiner Erwartungen mit leichten Verzerrungen oder ein neues, imaginäres Bild einer mehr oder weniger homogenen Kultur. In seinem Vortrag trug der deutsche Vizekonsul als politischer und diplomatischer Vertreter das geringste Risiko der Ablehnung, indem er sich, so wie das Design eines touristischen Unterhaltungszentrums für Deutschland-Fans und Besuchende der Olympischen Spiele, auf kulturelle Aspekte Deutschlands konzentrierte, die bei verschiedenen Kulturen positiv ankommen. In ähnlicher Weise wurde das Treffen der GrundschülerInnen mit den deutschen Turnerinnen in erster Linie durch die Annahme ihrer nationalen Zugehörigkeit motiviert. Nimmt man das Treffen der OberstufenschülerInnen mit den Jugendlichen aus dem Sozialprojekt unter die Lupe, so sind auch dort die oben beschriebenen interkulturellen Prozesse zu erkennen, jedoch treten die Lernenden an die Stelle des legitimen Vertreters der Zielkultur. Auch wenn sie einige stereotypisierte Aspekte der deutschen Kultur darstellten, hatten die WorkshopleiterInnen die Gelegenheit, sich als Vorbild zu präsentieren und fremde Ansichten über kulturelle Gegenstände zu beeinflussen. Dabei werden die Identitätsoberflächen durchdrungen sowie die gegenseitige Öffnung für den jeweils fremden kulturellen Blick und das Recht auf Auflösung und Restrukturierung von Zeichen und Bedeutungen wahrgenommen. Solche Akte der Aneignung und Neugestaltung charakterisieren transkulturelle Prozesse. Indem das transkulturelle Subjekt die Kultur formt, lässt es sich selbst umformen, wie ein Handwerker, der am Ende seiner Arbeit aus dem Rohmaterial einen neuen Gegenstand fertigt, den er sich zwar vorgestellt hatte, aber keineswegs in all seiner Komplexität erfassen hätte können.

    Die Tradition der Einschulungsfeier wird von den brasilianischen Familien übernommen. Das Ereignis wird nach dem fremden kegelförmigen Gegenstand benannt, den Eltern basteln und den Erstklässlern schenken. Die Schultüten werden mit Sachen gefüllt, die lokal vorhanden sind und oft eher zum Schulbild eines brasilianischen sechsjährigen Kindes gehören als dem eines deutschen. Als weiteres transkulturelles Beispiel gilt die Zusammenstellung einer Streicherklasse nach deutscher Inspiration und mit der Übernahme von traditionellen Saiteninstrumenten aus der brasilianischen Kultur.

    Erwähnenswert ist auch die Erfahrung hinsichtlich der Übersetzung von literarischen Werken, da diese in der subjektiven Einstellung eines Autors und einer Kultur über die Realität bestehen. Ihre Übersetzung muss daher Metaphern verwenden und sich selbst als Metapher darstellen, wie die Repräsentation einer Repräsentation, die den Autor des Originals zum sprachlichen und kulturellen Bereich des Lesers führt und umgekehrt (Rónai 2012, p. 24). Damit das geschieht, ist es unerlässlich, sich durch eingehendes, akribisches und kritisches Lesen mit der Persönlichkeit des Autors auseinanderzusetzen und seinen Schreibstil zu begreifen. Genauer gesagt sind transkulturelle Prozesse wie die Aneignung des Textes und die Verflechtung von zwei Bedeutungswelten die Grundlage für die Entstehung eines unabhängigen Werkes aus der handwerklichen Resignifizierung durch den Übersetzenden.

    Natürlich sind die analysierten Berichte und alle anderen Nachrichten, die auf der Schulhomepage abrufbar sind, eine Auswahl von Ereignissen, die sich als Stichprobe für die alltägliche pädagogische Arbeit nicht gut eignen, weil sie von der Normalität eher abweichen. Außerdem werden sie in den meisten Fällen weder von Lehrenden noch von Lernenden verfasst, sondern von Mitarbeitenden, die für die öffentliche Kommunikation zuständig sind. Nichtsdestotrotz werden inter- und transkulturelle Lehrkonzepte offensichtlich hoch angesehen, denn Projekte dieser Art werden genehmigt, generieren zusätzliche Kosten, fallen aus der institutionellen Perspektive heraus positiv auf und sind berichtenswert. Das deutet darauf hin, dass der Kontakt zur deutschen Kultur bzw. die ‚bikulturelle Begegnung‘ sich nicht zwangsläufig auf den oberflächlichen Austausch und die distanzierte Auseinandersetzung mit einer fremden Identität beschränkt.

    Demzufolge stehen gegenwärtige Inhalte zu den Texten, die seit längerer Zeit auf der Webpräsenz der Schule platziert sind und ihr Leitbild in erheblichem Widerspruch definieren. Immerhin stehen sie mit dem GER im Einklang, wenn er davon ausgeht, dass man „sich das Schulcurriculum als Teil eines viel umfassenderen Curriculums vorzustellen“ (Trim et al. 2001, p. 169) hat, welches im gesellschaftlichen Leben parallel zur Schulbildung weitere mehrsprachige und plurikulturelle Kompetenzen umfasst. Indem die Schule wie in den analysierten Beispielen den Kontakt mit verschiedenen Sprachen und Kulturen ermöglicht, die außerschulische Umgebung sinnvoll nutzt und den Umgang mit einem plurikulturellen Repertoire in der Praxis der Sprachmittlung und der Übersetzung fördert, werden teilweise die Voraussetzungen eines mehrdimensionalen Ansatzes erfüllt.

    Weder in der Darstellung des Selbstbildes noch in den analysierten Feed-Beiträgen der Schulhomepage wurden jedoch Hinweise darauf erkannt, dass mehrsprachige Kontakte und Interaktionen im Konzept der ‚Begegnung‘ vorgesehen seien. In diesem Zusammenhang scheinen die Grenzen zwischen den Sprachen robuster zu sein als bei den Kulturen. Eine monoglossische und normativistische Ideologie benachteiligt die allgemeine Förderung der Mehrsprachigkeit, der Sprachenvielfalt und die Teilnahme an mehrsprachigen Diskussionen. Aufgrund der Hegemonie der Standardsprachen wird der Kontakt mit anderen Sprachnormen und Normabweichungen im Programm vermieden, das Lernen des Umgangs mit sprachlichen und interkulturellen Missverständnissen unterschätzt und die Bereitschaft zum transkulturellen Austausch vernachlässigt.

6. Entwicklungsprojektion hin zu einer mehrsprachigen Identität

Seit der Schulgründung im Jahr 1963 bestand das Schulkollegium größtenteils aus Lehrkräften mit Deutsch als Erst- oder Erbsprache. Die Geschichte der Schule zeigt, dass sich ihr bikultureller Charakter im Laufe der Zeit insofern entwickelte, als dass sie allmählich immer mehr brasilianische Familien und Lehrpersonen aufnahm und die deutsche Identität sich durch Alumni und in Deutschland ausgebildete brasilienstämmige MitarbeiterInnen vertreten ließ. Ab den 2000er Jahren wurden besonders in den DaF-Lehrkörper immer mehr brasilianische Dozierende mit unterschiedlichen sprachlich-kulturellen Hintergründen integriert, die Deutsch erst während ihrer akademischen Laufbahn lernten. Im Jahr 2014 übernahm zum ersten Mal eine zweisprachige Lehrkraft ohne deutsche Herkunft die brasilianische Schulleitung.

Den kommentierten Analysen ist zu entnehmen, dass sich die Schuleinrichtung in den letzten Jahren bemüht, ein Bildungskonzept durchzuführen, welches sich an Wechselseitigkeit und Austausch orientiert und die permanenten Identitätsverhandlungen berücksichtigt, obwohl die überwiegende Spracheinstellung in ihrer Gemeinschaft noch auf den „Nativitätsmythos“ (vgl. Rajagopalan 1997) verweist, indem die Sprachkompetenz des zweisprachigen Individuums hinsichtlich eines anachronistischen, imaginären ‚Muttersprachlers‘ bewertet wird. Sein realitätsfernes Sprachmuster wird künstlich als Ideal gefordert und es wird die Annahme vertreten, der Lernende wäre über seinen Kontakt zum ‚Muttersprachler‘ und dessen Vorbild hinsichtlich seines sprachlichen Ausdrucksvermögens begünstigt. Damit wäre folglich seine Leistung höchstens als befriedigend zu beurteilen. Darüber hinaus führt dieser Glauben zur Ausblendung von Überschneidungspunkten zwischen der Sprache und den einzelnen Sprechenden sowie von Merkmalen, welche die L2-Gruppen verbinden und unterscheiden.

Das lässt sich sogar noch bei adäquaten transkulturellen Initiativen wie der Übersetzungswerkstatt feststellen. In der Regel legen alle SchülerInnen beider Schulzweige mit wenig Ergebnisdiskrepanz die gleichen zertifizierenden KMK-Prüfungen ab, jedoch wurden, aufgrund von vorausgesetzten Deutschkenntnissen, nur Oberstufenklassen aus dem deutschen Zweig zur Teilnahme an der Übersetzungswerkstatt eingeladen, berichtete eine begleitende Lehrkraft. Abgesehen von den Initiativen zur Förderung der deutschen Sprache und dem Interesse an einem mehrsprachigen Ansatz im brasilianischen Zweig existieren demnach Hinweise darauf, dass die SchülerInnen von dieser Art der Begegnung gelegentlich ausgeschlossen werden und seltener dazu kommen, eine aktive Rolle im interkulturellen Austausch einzunehmen. Grund scheint zu sein, dass sie angeblich die Verkehrssprache nicht gut genug beherrschen würden, was den offiziellen Zertifizierungsverfahren und -schwerpunkten eindeutig widerspricht. Die Portugiesischkenntnisse von Deutscherstsprachlern wurden als Kriterium nicht berücksichtigt, obwohl die zwei Referierenden BrasilianerInnen sind und Portugiesisch sprechen. Im Vergleich zur gegenüberliegenden Perspektive darf man nicht vergessen, dass im Schulprogramm weder eine Zertifizierung der Portugiesischkenntnisse noch ein offizieller Test der Sprachkompetenz zum Portugiesischen als L2 vorgesehen ist.

Anscheinend ergibt sich aus diesem Zwiespalt, dass nur die Mitglieder einer einzelnen Gruppe als berechtigte Vertreter einer Zielkultur wahrgenommen werden, insofern sich etwa unter den acht interkulturellen Initiativen aus dem Nachrichtenfeed keine befinden, die ausschließlich Klassen des brasilianischen Zweigs ansprechen, während sich drei davon auf den deutschen Zweig beziehen, wo die bikulturelle Begegnung bereits in zwischenmenschlicher Form im Klassenraum stattfindet.

Im Grunde besteht also der dringende Bedarf, die Präsentation des Schulprofils im Internet zu überarbeiten, weil sie sich heutzutage vielfältiger gestaltet, als es die binaristische Beschreibung auf der Homepage vermuten ließe. Fächerübergreifende und mehrsprachige Unterrichtsprojekte folgen offensichtlich anderen Prämissen und die im Schulalltag ausgeprägte Identitätsdynamik und -mannigfaltigkeit werden in der Darstellung nicht berücksichtigt. Andererseits muss das interkulturelle Gleichgewicht erreicht werden, damit mehr Platz für kulturelle Durchlässigkeit geschaffen wird. Das Überdenken des pädagogisch-institutionellen Selbstbildes würde also transkulturelle und transdisziplinäre Kommunikationsgrundlagen etablieren, das mehrsprachige Selbstbewusstsein bei Lernenden und Lehrenden stärken und die zwei curricularen Zweige annähern.

Fazit

Eine Eins-zu-Eins-Korrespondenz zwischen Brasilianischsein und Portugiesisch-Erstsprachlersein macht sich im untersuchten Diskurs zum Selbstbild einer deutschen Auslandsschule in Brasilien bemerkbar. „Eine gute Beherrschung der deutschen Sprache“ als „Grundbedingung für die Teilnahme nicht-deutscher SchülerInnen“ deutet auf eine Auffassung von Kultur als monolithischem Block hin und schreibt eine Kategorisierung vor, welche auf einem stereotypisierten identitären Profil basiert und die Hybridität, die dem Konzept einer interkulturellen Begegnung zu eigen ist, ignoriert. So betrachtet, bringt der analysierte Text Kultur, Sprache, Nation und Land durcheinander und verleiht auf der Grundlage eines Migrationskontexts dem bilingualen Erziehungsplan einen eigenen Sinn. In dieser Hinsicht besteht ein unausgeglichenes Verhältnis zwischen den sich begegnenden nationalen Gemeinschaften, indem zum Beispiel nur für Deutsch und Englisch das Erlangen der offiziellen Sprachzertifizierung gefördert wird und dem deutschen Zweig eindeutig mehr Chancen zum transkulturellen Kontakt geboten werden.

Die Schule gibt in ihrer Selbstdarstellung der Erklärung ihrer curricularen Struktur Vorrang und richtet das Hauptaugenmerk bei den Zielen ihres Programms auf das Dialog- und Partnerschaftspotenzial zwischen zwei Nationen, während kein Wort den Auswirkungen dieses pädagogischen Konzeptes auf den Lernenden selbst und auf die Umgebung, in der er als Kind und Jugendlicher gegenwärtig lebt, gewidmet wird.

In Bezug auf den Sprachlehrplan für Deutsch als Fremdsprache wird ein Kompromiss zwischen diesen politischen Ansichten und den Richtlinien des GER sichtbar, jedoch nicht ohne dass bestimmte Prämissen des letzteren unbeachtet bleiben, vor allem was die Entwicklung einer mehrsprachigen Kompetenz anbelangt. Allerdings lässt sich durch die Beobachtung des Schulalltags und die Analyse von kurzen Berichten aus dem Online-Nachrichtenfeed feststellen, dass Lernende und Lehrkräfte im Rahmen von fächerübergreifenden Projekten und Arbeitsgemeinschaften Akteure dynamischer Praktiken und Einstellungen sind. Indem sie aus der unmittelbaren Realität Inputs holen und darauf kreativ und transgressiv einwirken, werden die Grundlagen für einen transkulturellen Ansatz wenigstens in einem begrenzten (experimentellen) Umfang upgedatet.

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[1]Im Vordergrund dieser Studie wurde der institutionelle Diskurs in der Landessprache Portugiesisch analysiert. Dennoch wird in dieser Arbeit immer dann das direkte deutschsprachige Zitat übernommen, wenn die deutsch- und die portugiesischsprachige Fassung der untersuchten Texte inhaltlich übereinstimmt bzw. keine für die Diskussion entscheidende Abweichungen aufweist. Sonst werden die entsprechenden Textausschnitte in den zwei Sprachen verglichen und die Unstimmigkeiten kommentiert.

[2]Englisch wird im Jahrgang 5 eingeführt und umfasst fünf Wochenstunden bis zum Jahrgang 7 (im deutschen Zweig bis zum Jahrgang 6), ab Jahrgang 8 (bzw. 7) sind pro Woche vier Englischstunden und drei im Abschlussjahrgang 12 angesetzt.

[3]Die hier präsentierten Feed-Einträge wurden zusammengefasst und chronologisch geordnet.